Das Bundessozialgericht (BSG) hatte sich im Jahr 2022 mit den Voraussetzungen beschäftigt, die an die Verordnung von Cannabis geknüpft sind. Nun ist ein neues Urteil zu dieser Thematik ergangen (Urteil vom 20.03.2024, Az. B 1 KR 24/22).

Anforderungen an eine vertragsärztliche Einschätzung gemäß § 31 Abs. 6 SGB V

Die vertragsärztliche Einschätzung muss die Dokumentation des Krankheitszustands mit bestehenden Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen des Patienten aufgrund eigener Untersuchungen und ggf. unter Hinzuziehung von Befunden anderer behandelnder Ärzte enthalten. Außerdem muss die zu behandelnde Erkrankung, ihre Symptome und das mit Cannabis angestrebte Behandlungsziel dargestellt werden. Bereits angewandte Standardbehandlungen, deren Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und die aufgetretenen Nebenwirkungen müssen genauso dargelegt werden wie noch verfügbare Standardtherapien und deren zu erwartender Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und die zu erwartenden Nebenwirkungen. Zuletzt hat eine Abwägung zwischen den Nebenwirkungen der Standardtherapie und den möglichen schädlichen Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis stattzufinden.

Warum ein standardisierter Fragebogen nicht ausreicht

Ein ausgefüllter standardisierter Arztfragebogen erfüllt diese Anforderungen nicht, wie das BSG nun entschied. Pauschale Ausführungen, dass bei einem Patienten eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, andere medikamentöse Therapien wegen Nebenwirkungen abgesetzt worden seien und eine Therapie mit Cannabis geplant sei, ohne dass die geplante Einzel- und Tagesdosis angegeben wird, genügen nicht den Anforderungen an eine begründete vertragsärztliche Einschätzung.

Auswirkungen des BSG-Urteils auf die Versorgung

Das Urteil des BSG dürfte sich praktisch als „Versorgungsbremse“ auswirken. Voraussichtlich werden nur wenige Vertragsärzte bzw. ermächtigte Krankenhausärzte bereit sein, den zusätzlichen bürokratischen und zeitlichen Aufwand auf sich zu nehmen, der für die Genehmigung von Cannabis notwendig ist. Die Gebührenordnungsposition 01626 EBM, die der Arzt für eine solche begründete Einschätzung abrechnen kann, ist aktuell 17,07 Euro „wert“. Dem steht ein Aufwand von sicherlich mehreren Stunden Arbeit gegenüber, wenn der Arzt die Vorgaben des BSG ernst nimmt. Aufwand und Vergütung des Vertragsarztes bei einer Cannabisverordnung stehen daher in einem starken Missverhältnis.

Fazit

Das jüngste Urteil des BSG legt strenge Maßstäbe an die vertragsärztliche Einschätzung für die Verordnung von Cannabis. Ein bloßer standardisierter Fragebogen reicht nicht aus, um den Anforderungen gerecht zu werden. Diese Entwicklung könnte die Verschreibung von Cannabis in Deutschland erheblich erschweren und zu einer Reduktion der Verordnungen führen. Die Diskrepanz zwischen dem bürokratischen Aufwand und der Vergütung stellt eine weitere Herausforderung dar, die es zu bewältigen gilt, um Patienten den Zugang zu notwendiger Therapie zu ermöglichen.